Offizieller Weltrekord
Vom 29. Oktober 2022
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Er könnte ein ganzes Buch füllen – mit seinen Anekdoten und Erfahrungsberichten aus den acht Monaten von der Idee bis zum Weltrekordversuch: Florian Thieme, technischer Projektleiter bei Stadler für die «Capricorn»-Triebzüge
25 Formationen à vier Wagen von diesen neuen Paradepferden aus dem Hause Stadler bilden den Weltrekordzug.
Herr Thieme: Seit wann treibt Sie die Idee zum Weltrekordversuch um?
Eine ganze Weile schon. Die ersten verrückten Ideen schmiedete die RhB unter Einbezug von Stadler schon vor zwei Jahren. Vor acht Monaten dann nahm das Projekt konkretere Formen an. Nun stehen wir kurz vor dem Touchdown.
Und wie fühlt sich das an?
Gut, würde ich sagen. Klar sind wir immer noch sehr ein- und angespannt – bis zur letzten Minute. Während des Versuchs dann sind wir auf den Fahrzeugen, um eine allfällige Störung zu beheben. Wenn es wie erwartet funktioniert, können wir die Fahrt auch geniessen.
Und wie gross sind die Chancen, dass das Experiment gelingt?
(überlegt kurz) Ich würde sagen: mindestens 95 Prozent. Wissen Sie, wir würden sonst gar nicht erst antreten, wenn wir unserer Sache nicht sehr sicher wären. Aber ein Quäntchen Restrisiko, das bleibt halt immer. Das gehört zum Spiel. Bei den Tests im Vorfeld haben wir das ab und an am eigenen Leibe erfahren müssen…
Da lief ja nicht immer alles so rund, wie Sie sich das vorgestellt hatten. Dürfen Sie ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern?
Tue ich gerne, ja. Der absolute Tiefpunkt war der 10. April 2022. Das war der erste Test mit 16 Formationen. Da lief gar nichts. Der Zug steckte im Albulatunnel und tat keinen Wank.
Weshalb?
Das war genau die Frage. Und ich kann Ihnen sagen: Meine Kollegen und ich – alles hocherfahrene Techniker – suchten wie wild nach der Nadel im Heuhaufen. Vergeblich. Es gelang uns trotz intensiver Fehlersuche nicht, die unbedingt notwendige Sicherheitsschlaufe über alle Triebwagen hinweg zu aktivieren. Und damit war an eine Fahrt nicht zu denken.
Wieso?
Die Schnellbremsschleife zwischen allen Formationen ist die unabdingbare Sicherheitsvorkehrung, mittels der jeder der sieben Lokführer jederzeit eine Schnellbremsung erwirken und damit den kompletten Zug sofort zum Stillstand bringt.
Was haben Sie denn unterdessen verbessert, dass es nun klappt?
Viele Nachtschichten haben wir eingelegt (lacht). Kein Witz. Wir haben intensiv nach neuen Programmierungen und einer Open-End-Solution gesucht. Dabei gilt das Gesetz: möglichst einfach, nicht zu kompliziert vorgehen, weil sonst die Systeme anfällig werden. Kommt hinzu, dass wir alle Formationen nach dem Versuch wieder für den Regelverkehr umprogrammieren müssen.
Wie viele Fachleute von Stadler sind in diesem Team involviert?
Unmittelbar sind wir neun Kolleginnen und Kollegen, die am Versuch mitarbeiten. Ein IT-Techniker, ein Elektriker und sechs IBS-Spezialisten –das sind Fachleute, die für Inbetriebsetzung zuständig sind – so wie ich.
Und was ist Ihre Rolle?
Ich bin der Zeremonienmeister als Koordinator der Stadler-Mannschaft und Schnittstelle zur technischen Leitung der RhB. Wenn wir gerade keine Rekorde brechen wollen, bin ich für die Auslieferung aller «Capricorn»-Triebzüge an die RhB zuständig.
Seit wann sind Sie bei Stadler?
Seit 2014. Ich bin die «Next Generation». Wir hatten in den letzten Jahren in den Teams, die für die RhB arbeiten, eine Wachablösung. Unsere langjährigen Mitarbeitenden, die mit der RhB teilweise über 20 oder mehr Jahre zusammenarbeiteten, sind in Pension gegangen. Nun sind wir 35-Jährigen am Zug. Und da ist der Weltrekordversuch ein ideales Testfeld für uns – auch in Sachen Teambuilding.
Und wie muss ich mir Ihren Abend vor dem grossen Rekordversuch nun konkret vorstellen?
Wir werden am Vorabend gegen 19.30 Uhr in Samedan die ersten «Capricorn»-Triebzüge in Empfang nehmen und deren Systeme für den Weltrekord umprogrammieren. Das geht dann Schritt für Schritt weiter so, bis gegen 2 oder 3 Uhr morgens, wenn wir rund 13 Triebzüge IT-mässig vorbereitet und im Albulatunnel aufgestellt haben werden. Dann fallen wir ins Bett – in unserem Hotel in Preda, bevor wir um 7 Uhr wieder ans Werk gehen. Bis 13.45 Uhr muss alles bereit sein, damit der Versuch anschliessend wie am Schnürchen funktioniert.
Und was tun Sie, wenn dieser gelingt?
Dann gibt’s hoffentlich auf dem Festgelände in Bergün etwas zu feiern. Denn dann müssen wir definitiv anstossen – auch auf all die Kolleginnen und Kollegen, die man nicht im Rampenlicht sieht. Sie haben ganz viel zum Gelingen beigetragen, teilweise über Monate hinweg. Ihnen gebührt unser grosser Dank.
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