Kurz erklärt

Was die RhB-Loks erzählen würden, wenn sie sprechen könnten

Viele RhB-Lokomotiven tragen Namen - von Bergen über Ortschaften und Gemeinden bis hin zu Persönlichkeiten. Lokführer Christoph Benz erzählt die Geschichte hinter dieser besonderen Tradition.

Christoph Benz, Lokführer, 12. Mai 2025

Ein Ruck, ein Pfeifen, dann setzt sich der Zug langsam in Bewegung. Wer am Bahnsteig steht und ihm nachblickt, entdeckt vorne an der Lok einen Namen. Nicht irgendeinen – Rhaetia, Davos, Madrisa. Unsere Lokomotiven tragen Titel, die Geschichten erzählen: von Bergen, Orten, Legenden.

Doch welche Geschichten stecken hinter der Namensherkunft des RhB-Rollmaterials? Lokführer und Mitautor von «Die Bündner Kulturbahn» Christoph Benz erzählt davon:

Die ersten Namen: Von RHAETIA bis Engadin

Dass Lokomotiven Namen erhalten, ist eine alte Tradition: Rocket, Adler oder Limmat hiessen die ersten Lokomotiven in England, Deutschland und bei uns in der Schweiz. Und auch die erste Lokomotive der RhB beziehungsweise der damaligen Schmalspurbahn Landquart–Davos (LD), die Dampflok G 3/4 Nummer 1 erhielt einen Namen: RHAETIA. Warum es genau dieser Name in dieser Schreibweise war, ist nicht überliefert.

Die vier Schwesterlokomotiven bekamen übrigens geografische Namen wie Prättigau, Davos, Flüela und Engadin; später gab es noch Dampfloks, welche auf die Namen Maloja und Scaletta getauft wurden. Damit dürfte die LD quasi Werbung gemacht haben für ihre visionären Pläne einer Bahn von Davos weiter ins Engadin und ins Bergell.

Die erste Dampflok G3/4 erhielt den Namen RHAETIA.

Bild: Archiv Rhätische Bahn

Eine Schwesterlokomotive von RHAETIA erhielt den Namen Engadin.

Bild: Archiv Rhätische Bahn

Eine weitere Dampflok aus den Anfangszeiten wurde auf den Namen Scaletta getauft.

Bild: Archiv Rhätische Bahn

 

Vom Namen zur Nummer

Mit dem steten Ausbau des Streckennetzes der RhB mussten immer mehr Lokomotiven in immer grösserer Stückzahl angeschafft werden. Von den ab 1904 beschafften Dampflokomotiven des Typs G 4/5 zum Beispiel standen 29 Stück im Einsatz; es wäre wohl ein zu grosser Aufwand gewesen, diese alle mit einem Namen zu versehen. Somit entfiel die Namensgebung; die Lokomotiven erhielten fortan nur noch eine Nummer.

Gilt übrigens auch für die einst 15 Stück umfassende Serie der Bündner Kultlok schlechthin, dem «Krokodil», welche ihren Spitznamen wegen der speziell gelenkigen Bauform erhielten: Um nämlich die vielen engen Kurven befahren zu können, wurden die Ge 6/6 I-Loks dreiteilig gebaut. Und diese drei Teile – quasi Schnauze, Körper und Schwanz – erinnern eben an ein Krokodil.

Doppeltraktion Krokodil-Lokomotive bei Malans.

Bild: Rhätische Bahn, Stefan Schulthess

Berge als Rückkehr einer Tradition

Erst mit der ab 1947 erfolgten Ablieferung der zehn elektrischen Schnellzugslokomotiven Ge 4/4 601-610 führte die damalige Direktion der RhB die Tradition der Namensgebung wieder ein. Interessanterweise bekamen diese Lokomotiven jedoch nicht Namen von Ortschaften, sondern von Bergen: Bernina, Linard, Madrisa oder Silvretta. Und als dann zehn Jahre später die ersten beiden Ge 6/6 II 701 und 702 – die Kraftpakete für schwere Zementzüge für den Kraftwerksbau – bei der Schweizer Maschinen- und Elektroindustrie in Auftrag gegeben wurden, lancierte die RhB einen Namenswettbewerb in der Bevölkerung.

Die Teilnahme war enorm: Über 7000 Vorschläge kamen zusammen; von Alpenrose über Gletscherfee, Herkules, Munggenpfiff, Schneestern bis Viva la Grischa. Eine aus Mitgliedern der Verwaltung zusammengestellte Jury entschied sich schliesslich für die Namen Raetia und Curia; 14-mal wurde diese Kombination vorgeschlagen. Für die später nachbestellten fünf Ge 6/6 II 703 bis 707 gingen die Verantwortlichen der RhB denselben Weg wie ihre Kollegen von den SBB, welche ihre Gotthardlokomotiven Ae 6/6 mit Kantons- und Städtewappen schmückten.

Somit prangten ab 1965 die Namen und Wappen von St. Moritz, Davos, Pontresina, Disentis und Scuol an den nachbestellten Ge 6/6 II-Loks. Und diese weitverbreitete Tradition, Lokomotiven mit Ortsnamen zu taufen, wurde auch zwischen 1973 und 1985 (Ablieferung Ge 4/4 II) und zwischen 1993 und 1999 (Ablieferung Ge 4/4 III) beibehalten.

Lokomotive mit dem Namen Domat/Ems.

Bild: Rhätische Bahn

Lokomotive Ge 4/4 III; 647; BoBo III

Bild: Rhätische Bahn

Namensgeber aus der Ferne

Etwas spezieller war die Namensgebung ab 1988 bei den neuen Berninatriebwagen ABe 4/4 III: Zum einen trugen auch diese Namen und Wappen von Gemeinden entlang der Berninastrecke, zum anderen kamen auch zwei Skigebiete und die japanische Kleinstadt Hakone zu Ehren. Hakone ist Ausgangspunkt der Hakone Tozan Railway, mit welcher die RhB seit Jahrzehnten eine freundschaftliche Verbindung pflegt.

Auch die japanische Kleinstadt Hakone fungierte als Namensgeber.

Bild: Rhätische Bahn

Bei den Berninatriebwagen kamen ab 1988 Namen und Wappen von Gemeinden entlang der Strecke in Einsatz und später von Bergen- hier Corviglia.

Bild: Rhätische Bahn, Stefan Schulthess

Persönlichkeiten und Wappentier – die Ära geht weiter

Nun prangten also die Wappen von 44 verschiedenen Bündner Ortschaften beziehungsweise Gemeinden an Lokomotiven und Triebwagen. Viele Alternativen entlang der RhB-Strecken blieben also nicht mehr. Und trotzdem waren sich die Verantwortlichen einig: Auch die Allegra-Triebzüge, welche ab 2009 den Fuhrpark ergänzten, sollten Namen bekommen. Und zwar Namen von Bündner Persönlichkeiten: Alois Carigiet, Anna von Planta, Giovanni Segantini oder Jörg Jenatsch. Sogar die beiden ehemaligen Profisportler Carlo Janka und Dario Cologna standen Pate.

2015 startete die RhB die grösste Rollmaterialbestellung in ihrer Geschichte: 62 neue Triebzüge vom Typ «Capricorn» für das Stammnetz. Der Name Capricorn wurde übrigens mit einem Namenswettbewerb ermittelt, so wie fast 60 Jahre zuvor bei den ersten beiden Ge 6/6 II. Und es war einmal mehr klar: Auch von diesen Zügen erhält jeder einen Namen. Gar nicht so einfach bei einer so grossen Serie. Zum Glück gibt es in Graubünden genügend Berge, womit dort angeknüpft wurde, wo 1947 die ganze Namensgeschichte bei der RhB nach einer jahrzehntelangen Auszeit wieder so richtig Fahrt aufnahm.

Der Capricorn-Triebzug ABe 4/6 3113 wurde auf den Namen Calanda getauft.

Bild: Rhätische Bahn

5 Kommentare

JUAN LOPEZ 30.05.2025

Maravillosa Suiza, un país de postal, de cuento de hadas. Y dentro de Suiza, los Grisones y el formidable ferrocarril rético, un espectáculo inolvidable para quienes amamos el tren. En la ventanilla del tren te hace soñar viendo el desfile de montañas, valles, túneles, puentes y pueblos cargados de belleza y de paz. ¡¡Gracias por conservar tanta maravilla!!

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Willi Fussnecker 29.05.2025

Sehr informativer und lehrreicher Bericht, besonders für mich als deutscher RhB-"Fan"

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Andreas Rüedi 14.05.2025

Ausgezeichnet, habe mich gefreut.

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Andreas Rüedi 14.05.2025

Ausgezeichnet, habe mich gefreut.

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Andreas Rüedi 14.05.2025

Ausgezeichnet, habe mich gefreut.

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